Leer ist nicht verfügbar, ungenutzt ist nicht bestandfrei

von Martin Grabler

Schwierigkeiten im Umgang mit dem Begriff „Leerwohnung“

In Wien arbeiten 996.307 Beschäftigte in 66.657 Unternehmen, Wien verfügt über

26.222 Sitzplätze in Kinos, 1.306.052 Menschen besuchten im Jahr 2017 Vorstellungen des Bundestheaterkonzerns. 2.668.607 stationäre Aufenthalte wurden registriert und die Zahl der Krebsneuerkrankungen betrug 40.718. Vieles ist in Wien statistisch erfasst, und zwar exakt, punktgenau.

Wie viele Wohnungen in Wien leer stehen, ist unbekannt. Die Schätzungen starten bei einigen tausend und gehen über zehntausend, mehrere zehntausend bis hunderttausend und mehr. Frage: Warum ist es so schwer, festzustellen, wie viele Wohnungen in Wien leer stehen?

Es gibt keine Meldepflicht für leere Wohnungen, keine Datenbank, keine zuverlässigen Zählungen. Die Volks- und Wohnungszählung, wie sie bis zum Jahr 1991 üblich war, wurde durch neue, dezentrale Erhebungsmethoden ersetzt, die nicht mehr das ganze Stadtgebiet abdecken.

Dazu kommt die banale Frage: Wann ist eine Wohnung leer? Wenn niemand darin hauptgemeldet ist? Dieser Ansatz, in der Wohnbauforschung durchaus gängig, greift zu kurz. Für eine vorausschauende Planung, für eine Minderung der Wohnungsnot ist es nicht nur wichtig, die Zahl der leer stehenden Wohnungen zu kennen, sondern auch die Verfügbarkeit von ungenutztem Wohnraum.

Leere Wohnungen den Wohnungssuchenden! Ist die Lösung so einfach?

Die enorme Nachfrage nach leistbaren Wohnungen kann nur zu einem begrenzten Teil durch Neubauten abgedeckt werden. Viele Wohnungssuchende sind auf bestehende Wohnungen angewiesen, die „auf den Markt“ kommen, sei es als Miet-, Genossenschafts- oder Eigentumswohnung.

Aber viele Wohnungen werden nicht vermietet oder verkauft, obwohl sie offensichtlich gerade niemand bewohnt. Weil sie von den HauseigentümerInnen aus spekulativen Motiven zurückgehalten werden? Oder stecken da auch noch andere dahinter?

Eine Tante meiner Frau, schon lange verwitwet und alleine lebend, musste vor einiger Zeit altersbedingt in eine betreute Wohnform übersiedeln. Die Wohnung, in der sie seit Ende des Zweiten Weltkriegs gewohnt hatte, war ab diesem Zeitpunkt ungenutzt. Aber niemand in der Familie bringt es über das Herz, die Wohnung jemand anderem zu überlassen. Vielleicht erholt sich die Tante und will wieder zurück. Genau genommen traut sich keiner der Angehörigen auch nur darüber nachzudenken, die Wohnung anzurühren. Ein Tabu.

Sich ändernde Lebenssituationen, die eine direkte Auswirkung auf die Belegung einer Wohnung haben, gibt es immer wieder: Partnerschaften finden sich, Kinder verlassen die elterliche Wohnung, Beziehungen gehen auseinander, Kinder kommen zurück in die elterliche Wohnung. Da kann es vorkommen, dass eine Wohnung eine Zeit lang überbelegt ist, aber auch, dass sie leer steht.

Dass sie leer steht und nicht weitergegeben wird. Das führt zur Frage, ab wann eine  Wohnung denn eigentlich als „leer“ gilt? Wenn sich tatsächlich niemand in der Wohnung aufhält? Oder bestenfalls über Airbnb vermittelte Touristen? Wenn niemand seinen Lebensmittelpunkt dort hat oder – was relativ einfach zu messen wäre – wenn niemand Strom und Wasser verbraucht? Über welchen Zeitraum?

Wohnungen, die gerade nicht gebraucht werden, werden aus den unterschiedlichsten Motiven gehortet. Wenn die Kinder einmal studieren wollen. Wenn der Auslandsaufenthalt irgendwann vielleicht doch zu Ende geht. Wenn sich der gemeinsame Haushalt nach der ersten Phase der Verliebtheit als nicht ganz so prickelnd herausstellen sollte.

Viele haben eine emotionale Bindung an ihre „alte“ Wohnung, Erinnerungen an früher. Aber viele haben auch ganz konkret viel Geld in ihre Wohnung gesteckt. Dazu kommt, dass alte Wohnungen oft verhältnismäßig billig sind, und damit der Anreiz, sie weiterzugeben, gering. Dazu kommen noch mehr oder wenig legale Möglichkeiten, mit der Wohnung selbst kurzfristig ein wenig Geld zu verdienen, über Internetplattformen etwa, die tage- und wochenweise Übernachtungen vermitteln.    

Viele waren zur Ausbildung, zum Studium in Wien und sind danach weggezogen. Heute leben sie mehr als eine Tagesreise entfernt, behalten aber ihre alte Wohnung für die ein- bis zweimal im Jahr, wo sie für ein paar Tage zurückkommen und in der alten Wohnung übernachten.

Oft sind es nicht die als böswillige Spekulanten verschrienen Hauseigentümer, die für Leerstände verantwortlich zu machen sind, im Gegenteil: Egal ob privater HausbesitzerInnen professionelle Verwertungsfirma, prinzipiell haben beide ein Interesse daran, dass Wohnungen langfristig auch belebt sind.

Dass Wohnungen in Wien von Eigentümerseite in großem Stil zurückgehalten werden, einzig in Erwartung einer Wertsteigerung, lässt sich in Wien statistisch nicht erhärten und auch in der entsprechenden Fachliteratur findet sich kein Hinweis darauf, bzw. wenn, dann nur in vereinzelten Fällen.

Kurzfristig kann es vorkommen, dass HauseigentümerInnen Wohnungen leer stehen lassen, um sie zu sanieren, nicht nur ausmalen sondern auch zum Beispiel die Leitungen auf den neuesten Stand bringen (wozu sie gesetzlich verpflichtet sind), Küchen, Bäder und Heizung zu erneuern. Baufirmen, die von knapp kalkulierenden privaten Vermietern mit präzisen Zeitvorgaben unter Druck gesetzt werden, schaffen das in Tagen, in Wochen, Genossenschaften brauchen oft Monate, Wiener Wohnen mitunter Jahre.     

Was tun?   

Ein konkreter Vorschlag: Ein professionelles Leerstehungsmanagement bei Wiener Wohnen für die über 220.000 Wohnungen in Gemeindebauten, das dafür sorgt, dass Vergabe und Baumaßnahmen koordiniert werden, übersiedlungs- und sanierungsbedingte zwischenzeitliche Leerstehungen minimiert werden. So etwas gibt es bisher nicht, ebenso wenig wie es Studien gibt, die aufzeigen, wie viele Wohnungen dies pro Jahr betrifft und um wieviel schneller sie vergeben werden könnten.

Ein zweiter Vorschlag: Eine zentrale Datenbank über alle leerstehenden Wohnungen in Wien als Basis für die Politik sich zu überlegen, wie leere Wohnungen schneller einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden können.

Die Politik ist gefordert, einerseits Anreize zu setzen, um mehr Wohnungen auf den Markt zu bringen, andererseits zu überlegen, wie Sanktionen gegen das mutwillige und unnötig lange Leerstehenlassen aussehen könnte, etwa eine Steuer auf nicht vermieteten, ungenutzten Wohnraum. So eine Leerstehungsabgabe bräuchte aber natürlich auch eine Datengrundlage.

Ein dritter Vorschlag: Eine Evaluierung, in wie weit die vorhandenen Wohnungen in Wien auch zweckmäßig und widmungskonform genutzt werden. Auch hier mit dem Ziel Fehlverhalten zu bestrafen – das Verbot von Airbnb in Wohnzonen kann als erster Schritt dazu gesehen werden – bis hin zu günstigen Tauschmöglichkeiten für Leute, die ihre Wohnung nicht mehr – oder nicht mehr in dieser Größe – benötigen. Warum nicht eine Prämie für alle, die freiwillig eine Wohnung aufgeben?

Übrigens: Der Tante meiner Frau hat es im Heim nicht gefallen, sie ist – rechtzeitig zu ihrem 95. Geburtstag – wieder in ihre alte Wohnung gezogen.

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