Vergesellschaftung von Wohnraum und andere Instrumente für leistbares Wohnen.

Berliner Wohnpolitik und was wir davon lernen können.
zusammengefasst von Elisabeth Kittl, Grüne Bildungswerkstatt Wien

Diskutant*innen:

Katrin Schmidberger,  Abgeordnete der Grünen zum Berliner Abgeordnetenhaus

David Ellensohn, Abgeordneter der Grünen zum Wiener Landtag und Gemeinderat

Gerlinde Gutheil, Österreichischer Verband Gemeinnütziger Bauvereinigungen

Walter Rosifka, Team Wohnen AK Wien

Moderation: Michael Josef Seiss, Grüne Wieden

Der Wohnungsmarkt in Berlin hat exorbitante Preissteigerungen durchmacht und die Mieten fressen einen immer größeren Anteil des Haushaltseinkommens von immer mehr Menschen. Darüber und über die politischen Werkzeuge, leistbares Wohnen wieder zu erringen, berichtet Katrin Schmidberger aus Berlin.

Die Wiener Verhältnisse sind im Vergleich zu den Berliner Wohn- und Mietverhältnissen besser, aber trotzdem steigen die Bodenpreise, die Mieten und der Mietkostenanteil des Haushaltseinkommens jährlich und das weit über den Verbraucherpreisindex hinaus. Daher möchten wir politische Instrumente für leistbares Wohnen kennenlernen und schauen nach Berlin, das zwar doppelt so groß wie Wien ist, aber doch ähnliche Wohnstrukturen aufweist:

Miete essen Seele auf

  • 85 % Miete versus 15 % Eigentum (Wien: 890 : 20).
  • Seit 2008 wächst die Berliner Bevölkerung rapide. Etwa 50.000 neue Bewohner*innen pro Jahr bei etwa 3,5 Millionen Einwohner*innen (Wien: 20.000 neue Bewohner*innen).
  • Die Bodenpreise stiegen seit 2008 um 870 %.
  • Die Mieten erhöhten sich seit 2008 um 107 % (das Einkommen um 24 %).
  • JedeR vierte Stadtbewohner*in zieht wegen Verdrängung um.
  • Jeder 5. Haushalt muss etwa 40 % seines Haushalteinkommens für Miete aufbringen (Ö: jeder 10. Haushalt).
  • Jeder 3. Haushalt verwendet 30 % und mehr für die Mietausgaben.
  • Die Menschen verdienen in Berlin um etwa 20 %  weniger als der deutsche Durchschnitt.
  • Ein Fünftel der Berliner*innen leben unter der Armutsgrenze.
  • 1,800.000 Berliner*innen hätten Anspruch auf eine Sozialwohnung, es stehen aber nur 100.000 entsprechende Wohnungen zur Verfügung.
  • Langsam entstehen in Berlin Armutsquartiere.
  • Pro Jahr bräuchte Berlin etwa 20.000 neue Wohnungen, gebaut wird aber nur ein Viertel davon.

Rendite! Das Geschäft mit dem Menschenrecht auf Wohnen

Deutschland hat in der Hochblüte des Neoliberalismus viel falsch gemacht. 1990 wurde die Gemeinnützigkeit abgeschafft. 200.000 Wohnungen wurden bis 2011 privatisiert. 2004 wird die ehemalige Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW) verkauft und wird zur gewinnorientierten Aktiengesellschaft. 2013 wird sie von der Deutsche Wohnen AG gekauft. Sie ist eine der größten Immobilienplayerinnen am Berliner Markt. 15 % der vermieteten Eigentumswohnungen gehören börsennotierten Immobilienunternehmen. Manche  davon zahlen kaum Steuern, da die Unternehmenssitze nicht in Deutschland sind.

Umkehr und neue wohnungspolitische Instrumente für mehr leistbares Wohnen

2016 war in Berlin aufgrund der obigen Faktenlage die Mietenproblematik das wahlentscheidende Thema. Die rot-rot-grüne Regierung (SPD, Linke und Grüne) setzt auf verschiedene Instrumente:

Neubau: Ähnlich wie die Wiener Städtebaulichen Verträge verankerte Berlin in der Bauordnung eine sog. „Kooperative Baulandentwicklung“. Sie bedeutet, dass bei mittels erteilter Baubewilligung der Bauwerberin vorgeschrieben wird, ein Drittel der Bodenwertsteigerung  an die öffentliche Hand abzugeben und ein Drittel der Wohnungen als Sozialwohnungen zu errichten.

Ankauf: Bezirke können gewisse gefährdete Gebiete als Milieuschutzgebiete definieren. In diesen hat die Kommune ein Vorkaufsrecht. In allen Berliner Bezirken gibt es Baustadträt*innen, die jeden Kaufvertrag auf den Tisch bekommen und ein Vorkaufsrecht geltend machen können. 2.000 Wohnungen wurden bereits gekauft.

Bestandschutz: Den Käufer*innen ist es möglich, das Vorkaufsrecht der Stadt abzuwenden, wenn sie bestimmte Vereinbarungen mit ihr eingehen, wie zum Beispiel keine Umwandlung der Wohnungen in Eigentumswohnungen. Damit Wohnungen nicht für gewerbliche Zwecke verwendet werden, wurde auch ein Zweckentfremdungsverbot eingeführt. Airbnb-Vermietung ist nur mehr ausnahmsweise möglich.

Mietendeckel

Gerne umgehen die großen Immobilienkonzerne die derzeit schon bestehenden Mietobergrenzen. Entweder sie vereinbaren mit den Mieter*innen eine nachträgliche Mieterhöhung oder sie machen aus den Wohnungen Luxusappartements und können damit höhere Mieten verlangen.

In Deutschland liegen das Wohnungswesen und damit auch das öffentliche Mietpreisrecht in der Kompetenz der Länder. Innerhalb dieses Spielraums möchte Berlin einen sog. Mietendeckel einführen. Die Berliner Stadtregierung verhandelt darüber gerade. Auszug aus dem vorliegenden Entwurf zum neuen Berliner Mietengesetz:

Es gilt ein gesetzlich festgelegtes Mietenmoratorium. Die Mieten dürfen für fünf Jahre nicht erhöht werden. Auf Antrag der Mieterinnen und Mieter ist eine Überprüfung der Miete auf Mietpreisüberhöhung möglich. In Form eines Absenkungsbegehrens wird die Miete dann auf die zulässige Miete reduziert, die sich an einer zu definierenden allgemeingültigen Mietobergrenze orientiert. Die Mietobergrenzen sollen ausgehend von einem Zeitpunkt bestimmt werden, als der Berliner Wohnungsmarkt noch nicht in Schieflage geraten ist.

(https://stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnraum/mietendeckel/download/Senatsbeschluss_Eckpunkte_Mietengesetz.pdf)

Das dafür geschaffene Mietengesetz[1] legt die Miethöhe fest. Modernisierung von Wohnraum wird allgemein genehmigungspflichtig, so wie es Luxussanierungen in Milieuschutzgebieten schon sind. Vom Mietendeckel betroffen wären etwa 1,4 Mio. Wohnungen.

Öffentliche Daseinsvorsorge hat nichts auf der Börse verloren

Naturgemäß sind Immobilienfirmen, die als Aktiengesellschaften organisiert sind, darum bestrebt, viel Gewinn zu machen. Daher werden ganz Häuser „geleert“, um Luxussanierungen durchzuführen und hochpreisig vermieten zu können.

Die Initiative mit dem Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ findet großen Zuspruch in der Berliner Bevölkerung und erhielt innerhalb von drei Monaten 77.000 Unterschriften für dessen Einreichung. Sie fordert, das Unternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, in eine Anstalt öffentlichen Rechts umgewandelt werden. Ab dem Besitz von etwa dreitausend Wohnungen in einer Stadt wird von Marktbeeinflussung gesprochen. Die Deutsche Wohnen hält derzeit etwa 110.000 Wohnungen in Berlin. Die Vonovia – sie kaufte 2018 die BUWOG – besitzt etwa 40.000 Wohnungen in Berlin.

Vergemeinschaftung im öffentlichen Interesse

Da die Artikel 14 und 15 des Deutschen Grundgesetzes (aus 1949) im Rahmen des Volksbegehrens zur Anwendung kommen und in der transnationalen Debatte wichtige und viel diskutierte Regelungen sind, sollen sie hier explizit angeführt werden:

Artikel 14: 1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

Artikel 15: Grund und Boden […] können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.

Artikel 14 ist besser unter dem Begriff „Sozialpflichtigkeit des Eigentums“ bekannt. Gerlinde Gutheil erzählt, dass im 19. Jahrhundert die sozialistische Idee in aller Munde war und damit auch die Frage der Funktion des Eigentums. Das Eigentum als geschütztes Privatrecht setzte sich durch. Staatsrechtsgelehrte entwickelten dazu aber Gegenmodelle. Eines davon war die Verbindung von Eigentum mit Sozialpflichtigkeit. Andere gingen noch weiter und forderten staatliche Vorgabe für die soziale Funktion jeden Eigentums.

Zu beachten ist, dass es sich bei Art 14 um Enteignung und bei Art 15 um Vergesellschaftung handelt. Zwei unterschiedliche Worte, die auch unterschiedliche Bedeutung haben. Bei Vergesellschaftung handelt es sich mehr um eine Art der Demokratisierung, die in obigem Fall des Volksbegehrens in die Form der Anstalt öffentlichen Rechts gegossen werden soll.

Würde alles nach derzeitigem Stand umgesetzt werden, so würde Berlin etwa 250.000 Wohnungen für etwa 20 Milliarden Euro in ihre Verwaltung bekommen. Derzeit liegt das Volksbegehren beim Landesverfassungsgericht, welches die Verfassungskonformität prüft. Die Herausforderung ist, dass Art 14 und 15 GG noch nie im Wohnungswesen angewandt wurden.

Übernationale Herausforderungen

Wenn wir der derzeit geltenden Auffassung folgen, bedeutet mehr Angebot und weniger Nachfrage, niedrigere Preise. Folglich gilt das auch umgekehrt, ist das Mietangebot gering und die Nachfrage groß, steigen die Mietpreise. Die Hauseigentümer*innen freuen sich, die sonstige Wirtschaft schaut zu oder verlagert sich auf den Immobilienmarkt. Die Mieten werden teurer, die Verkaufspreise ohne zu tun der Eigentümer*innen höher. Immer mehr Menschen wenden immer mehr ihres Haushaltseinkommens für die Miete auf. In Berlin wie auch in Wien. Hier spielen auch die Negativzinsen hinein. Rosifka weist auf den Effekt hin, den sie hervorrufen. So manche Investor*innen kaufen Immobilien und hegen nicht einmal den Wunsch, diese auch zu vermieten, da es reine Kapitalanlage sind. Die Spekulation mit dem Menschenrecht Wohnraum nimmt seinen Lauf.

Aber nicht nur neoliberale Wirtschaftsideologien gefährden leistbares Wohnen auch scheinbar gut gemeinte Ansätze. Ellensohn warnt vor dem Druck der EU, kommunal geförderten Wohnbau nur armutsgefährdeten Menschen zur Verfügung zu stellen. Dabei entstehen Elendsquartiere und soziale Segregation. Wien mit seiner Politik der sozialen Durchmischung aufgrund höherer Einkommensgrenzen und erleichterter Wohnungsweitergabe ist bisher sehr gut damit gefahren.

Wiener Lücken und Möglichkeiten

In Wien verwirklicht der § 43 (1) Wiener Bauordnung den Enteignungstatbestand aus städtebaulicher Rücksicht sowie zum Erhaltung des Wohnungsbestandes. Besteht ein quantitativer Wohnungsbedarf oder ein qualitativer Wohnungsfehlbestand gibt es auch die Möglichkeit, mittels des Bodenbeschaffungsgesetzes (§ 5), Grundstücke zugunsten Gebietskörperschaften und gemeinnützigen Bauvereinigungen zu enteignen. Beide Regelungen erfordern eine angemessene Entschädigung.

Über widmungswidrigen Gebrauch von Wohnraum in Wien ärgert sich Walter Rosifka schon lange, immer mehr, je knapper dieser wird. In Wien gibt es gewisse Gebiete, die in der Flächenwidmung als Wohnzone ausgewiesen sind. Dort ist eine Umwandlung von Wohnungen in Geschäfte nur sehr bedingt möglich. Ein wenig beachteter Alltag in Wien ist die Verwendung ganzer Wohnungen für Arztpraxen, Rechtsanwaltskanzleien oder sonstige Dienstleister*innen. Auch hier handelt es sich um Zweckentfremdung von Wohnungen.

Vor mehr als 100 Jahren entstanden aufgrund der damaligen Wohnungsknappheit auch in Wien Genossenschaftsbewegungen, die gemeinnützig organisiert und staatlich unterstützt waren. Ein seit vielen Jahren von den Wiener Grünen vorgebrachte Forderung ist die Erhaltung geförderter Wohnungsbauten in der Hand der gemeinnützigen Bauvereinigungen und die damit verbundene Mietzinsdeckelung durch das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz. Der spekulative  Verkauf ganzer Häuser an private Immobilienunternehmen läuft dem Zweck des Gesetzes, leistbaren Wohnraum zu schaffen, entgegen. Wenn ein Verkauf dieser Häuser notwendig wird, fordert David Ellensohn, dass die Stadt Wien eine vertrauenswürdige gemeinnützige Bauträgerin mit der Weiterführung der Geschäfte betrauen kann.

Denn dort, wo es viele gemeinnützige Wohnungen gibt, sind auch die Privatwohnungen günstiger, sagt Gerlinde Gutheil. Jedenfalls, so unterstreicht sie, wäre ein „ertragsbeschränktes Eigentum“ in geförderten Wohnbauten ein probates Mittel. Das beinhaltet eine Mietpreisbindung und einen Verkauf mit Auflagen, wie Selbstnutzungsverpflichtung oder Rückfluss des Verkaufsgewinns an die öffentliche Hand durch eine Art der Mehrwertabgabe.

Schmidberger hebt die politische Kraft der zivilgesellschaftlichen Initiativen in Berlin hervor, die mehr Selbstverwaltung in ihren Grätzeln fordern. Das demokratisiert nicht nur die Stadtverwaltung, sondern empowert die Menschen, gemeinsam für ein gutes Leben zu sorgen. Wien ist hier durch Unterstützung von Baugruppen und Einbeziehung von Bürger*innen in die Stadtplanung schon ein Stück des Weges gegangen, hat aber noch ein ziemliches Stück vor sich.

Deutsche Wohnpolitik verstärkt in Österreich die Debatte über Eigentum, welches mit dem Menschenrecht Wohnen eng verbunden ist. Dass die Auseinandersetzung mit der Sozialpflichtigkeit des Eigentums weiter geführt wird, war hier ein Anliegen.


[1] https://stadtentwicklung.berlin.de/download/mietendeckel/Referentenentwurf_MietenWoG.pdf

Share