Gemeinderatssitzung vom 11.12.2020: Die Antrittsrede von GR Georg Prack
Sehr geehrte Frau Vorsitzende, sehr geehrte Frau Vizebürgermeisterin Gaal, sehr geehrte Kolleg*innen,
nachdem dies meine erste Rede in diesem Haus ist: Erlauben sie mir zunächst zu sagen, dass ich mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen freue. Politik ist der demokratische Wettstreit von Ideen. Auch wenn ich nicht alle ihre Ideen teile: Ich gehe davon aus, dass sie diese Ideen aus der Überzeugung heraus vertreten, das Beste für diese schöne Stadt zu tun.
Klar ist aber auch: Ideologien, die einen rassistischen, autoritären oder religiösen Umbau des Staates anstreben haben in einer Demokratie keinen Platz. Insofern lassen sie mich meiner Freude Ausdruck verleihen, dass der Anteil von deutschnationalen Burschenschaftern, die diesem Haus angehören, zuletzt deutlich gesunken ist. Was für eine Wohltat.
Was sollten sie über mich wissen? Ich bin ein Linker. Dem jahrzehntelangen neoliberalen Umbau unserer Gesellschaft stehe ich ablehnend gegenüber. Ich bin ein Freund eines starken Sozialstaats, einer breit aufgestellten, öffentlichen Daseinsvorsorge. Insofern wird es sie nicht überraschen, dass ich „sozialliberale“ Experimente wenig abgewinnen kann.
Vielmehr sind sie ein Schritt zurück zu den Irrwegen des Dritten Weges. Zurück zur Idee von Schröder und Blair den Widerspruch zwischen Wirtschaftsliberalismus und Sozialdemokratie aufzulösen. Zurück zu einer Idee, die die Sozialdemokratie und die Länder, die sie regiert haben, nachhaltig beschädigt hat. Um es mit einem – fälschlicherweise Albert Einstein zugeschriebenen – Zitat zu sagen: „Die Definition von Wahnsinn ist es immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“.
Ich arbeite seit mehr als 10 Jahren mit wohnungslosen Menschen. Die Wohnungs- und Sozialpolitik ist mir ein besonderes Anliegen. Deshalb freu ich mich auf die Zusammenarbeit mit der Frau Stadträtin für Wohnen, Wohnbau, Stadterneuerung und Frauen.
Von einem bin ich überzeugt: Wohnpolitik ist die zentrale verteilungspolitische Frage der Stadt. Das brauche ich ihnen nicht erzählen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion. Das wissen Sie. Nur hat man den Eindruck, dass der Umstand, dass sie das wissen keinen großen Einfluss auf das Koalitionsabkommen hatte.
Keine Frage: Es finden sich einige sehr erfreuliche Punkte im Koalitionsabkommen. Die angekündigten Sanierungs- und Begrünungsvorhaben sind aus wohnungs- und klimapolitischer Sicht überfällig. Bei der weiteren Ökologisierung der Bauordnung werden sie die Grünen als Partner*innen haben. Auch eine Flächenwidmungsstrategie, die weiterhin auf das zentrale Instrument der Widmungskategorie geförderter Wohnbau zurückgreift, hat unsere Unterstützung.
Da, wo Sie leistbaren Wohnraum nachhaltig neuen leistbaren Wohnraum schaffen. Da, wo Sie das Menschenrecht auf Wohnen sicherstellen. Da, wo Sie Klimaschutz forcieren. Da haben Sie, sehr verehrte Vizebürgermeisterin, die Grüne Fraktion an ihrer Seite.
In vielerlei Hinsicht ist das Koalitionsabkommen, das sie vorgelegt haben, aber eine Enttäuschung. Eine Enttäuschung, weil Sie die wichtigste verteilungspolitische Frage dieser Stadt nicht entschieden genug ansprechen. Eine Enttäuschung, weil der Mieter*innenschutz keine Rolle spielt. Eine Enttäuschung, weil sie zu den Auswirkungen der Coronakrise auf Mieter*innen kaum etwas zu sagen haben.
Ich werde mich aufgrund der Kürze der Redezeit heute auf drei Kritikpunkte konzentrieren.
1. Der Mieter*innenschutz ist der Ludwig-Wiederkehr Koalition offenbar kein Anliegen. Jedenfalls findet sich in ihrem Koalitionsabkommen auf 212 Seiten kein einziges Wort dazu.
„Wir arbeiten in Wien ganz bewusst mit einem Modell, das einen guten Mix aus Mechanismen des freien Marktes und einem fein austarierten Eingreifen der Stadt darstellt.“
Diese Formulierung stammt nicht etwa aus einem Positionspapier des Vermieter*innenverbandes. Sie stammt aus dem Wohnkapitel ihres Koalitionsabkommens. Wer glaubt, dass der freie Markt leistbares Wohnen schafft, der hat in Wien noch nie versucht eine frei finanzierte Wohnung zu mieten.
Mieter*innenschutz, das ist doch eigentlich ein wichtiger Bestandteil sozialdemokratischer Wohnpolitik. Weil ein freier Markt das Grundrecht auf Wohnen nicht garantiert. Weil ein freier Markt nur die Freiheiten der Vermieter*innen garantiert und sonst nix.
Die Wiener Stadtregierung hatte bis vor Kurzem eine klare Position zur Reform des Mietrechts. Die neue sozialliberale Koalition hat keine Positionierung dazu. Das ist ein massiver Rückschritt für alle, die sich bemühen, Druck für eine Reform des Mietrechts zu machen. Und es ist eine Konsequenz des sozialliberalen Experiments: Arbeiterkammer und Agenda Austria passt eben nicht in einen Punschkrapfen, sehr verehrte Damen und Herren.
Auf die prekäre Lage von Mieter*innen, die durch die Coronakrise ausgelöst wurde, gibt das Koalitionsabkommen keine Antworten. Delogierungsprävention, Wohnungslosenhilfe, … Das sind Themen, die im Koalitionsabkommen nicht mal erwähnt werden. Die Justizministerin hat bereits eine allgemeine Verlängerung der Stundung von Mieten und einen damit verbundenen Delogierungsstopp angekündigt.
Wien muss im eigenen Bereich mit gutem Beispiel voran gehen Ich bringe daher mit meinen Kolleg*innen einen Beschlussantrag ein, in dem wir vorschlagen, dass der Delogierungsstopp bei Wiener Wohnen bis Ende 2022 verlängert wird.
Vielleicht, sehr verehrte Damen und Herren, haben sie auf Delogierungsprävention und Wohnungslosenhilfe im Koalitionsabkommen einfach vergessen? Ich hoffe jedenfalls, dass sie unserem Antrag zustimmen und damit klarstellen, dass ihnen der Mieter*innenschutz und die Vermeidung von Wohnungslosigkeit nicht egal sind.
2. Und das ärgert mich besonders: Die Privatisierung von städtischem Grund und Boden wird im Koalitionsabkommen nicht ausgeschlossen. Nein: Der Verkauf von städtischem Grund und Boden wird sogar explizit angekündigt. Auch das ist typisch sozialliberal. Aber deshalb ist es noch lange nicht klug.
„Verkäufe von Liegenschaften, die nicht von strategischem Interesse sind […], sind wie bisher unter größtmöglicher Transparenz und objektivierten Verfahren durchzuführen.“
Die Spekulation mit Grund und Boden ist eines der größten Probleme für leistbaren Wohnraum. Die SPÖ-Alleinregierung hat bis 2010 laufend städtische Immobilien privatisiert. Die Etablierung des Prinzips „Baurecht statt Verkauf“ hat dem den Riegel vorgeschoben.
Die Formulierung in ihrem Koalitionsabkommen fällt zurück hinter den Stand von 2010. Wir wollen sicherstellen, dass hier nicht munter Grund und Boden der Stadt privatisiert wird. Deshalb stellen wir den Beschlussantrag, dass städtischer Liegenschaften nicht verkauft werden dürfen. Korrigieren Sie diese Positionierung sehr verehrte Damen und Herren und stimmen sie unserem Antrag zu.
3. Dem Neustart des Gemeindebauprogramms im Jahr 2015 folgt eine Vollbremsung im Jahr 2020. Das besonders absurde daran ist: Die Wiener Sozialdemokratie hat diesen Fehler im Jahr 2004 schon einmal gemacht. 2015 hat Bürgermeister Häupl das korrigiert und auf Druck der Grünen verkündet: „Ich schlage vor, dass wir wieder Gemeindewohnungen bauen“.
4.000 neue Gemeindewohnungen wurden von Rot-Grün auf Schiene gebracht. Jetzt kündigt die Regierung Ludwig an in der nächsten Wahlperiode nur mehr 1.500 neue Gemeindewohnungen auf den Weg zu bringen. Durchschnittlich 300 Wohnungen pro Jahr. Es tut mir leid, aber das ist lächerlich.
Mit der Zielsetzung von 1.500 zusätzlichen Gemeindewohnungen in einer Legislaturperiode wird de facto die neuerliche Einstellung des Gemeindebauprogramms eingeläutet. Was für ein Hohn zum 100 Jahre Jubiläum des Gemeindebauprogramms.
Wir bieten Ihnen sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit diesen Fehler noch zu korrigieren. Deshalb bringe ich einen Beschlussantrag ein, mit dem wir verlangen, dass wir auch in der aktuellen Wahlperiode 5.000 neue Gemeindewohnungen auf den Weg bringen. Also 1.000 zusätzliche Gemeindewohnungen pro Jahr. Ich kann nur an sie appellieren: Korrigieren Sie diese Fehlplanung und stimmen sie unserem Antrag zu.
Sehr geehrte Frau Vorsitzende, sehr geehrte Frau Vizebürgermeisterin, sehr geehrte Kolleg*innen, ich fasse zusammen:
Sozialliberale Politik bedeutet, dass der Stellenwert des Mieter*innenschutzes sinkt. Sozialliberale Politik bedeutet, dass der Stellenwert der Delogierungsprävention sinkt. Sozialliberale Politik bedeutet, dass wieder städtischer Grund und Boden privatisiert wird. Sozialliberale Politik bedeutet, dass das Gemeindebauprogramm zurückgefahren wird.
Deshalb kommen wir zum Schluss, dass sozialliberale Wohnungspolitik schlecht für das leistbare Wohnen ist, schlecht für die Wiener*innen ist und schlecht für Wien ist.
Vielen Danke für ihre Aufmerksamkeit!