Mietenexplosion und leere Wohnungen in Wien

Darf die Stadt Wien den Wohnungs-Leerstand besteuern oder braucht sie dafür den Bund? Der Jurist Herbert P. hat diese Frage rechtlich geprüft und gibt eine Antwort darauf!

Die Stadt Wien sieht sich nicht zuständig für eine Leerstandsabgabe bei ungenutzten Wohnungen. Stimmt das, oder könnte die Stadtregierung durchaus Schritte setzen?

Wohnungsmangel trotz intensiver Bautätigkeit: Wie kann das sein?

Die Mieten steigen von Jahr zu Jahr, Wohnen in den Innenstadtbezirken wird zur Luxusfrage. Nach Berechnungen der TU-Wien sind private Mieten von 2008 bis 2016 um geschmalzene 53% gestiegen. Die wenigen günstigen Wohngelegenheiten erweisen sich als heiß umfehdet. Nicht selten wachsen sich Besichtigungstermine zu volksfestartigen Begebenheiten aus, Wettkampfcharakter inklusive. Und das alles, obwohl in Österreich nach Schätzungen täglich eine Fläche von rund 30 Fußballfeldern verbaut wird. Wo versteckt sich also all der Wohnraum und woher kommt der Wohnungsmangel?

Kann der Leerstand das Problem lösen?

Manch jemand glaubt, die Antwort auf diese Frage bereits gefunden zu haben. Eine beträchtliche Anzahl an Wohnungen steht nämlich leer, wodurch sich das Wohnungsangebot für wohnungssuchende Menschen in Wien weiter verknappt. Dagegen soll nun vorgegangen und der Leerstand „mobilisiert“, also der Vermietung zugeführt werden. Um dies zu erreichen, sollen Eigentümer:innen eine Abgabe entrichten, wenn sie ihre Wohnungen nicht vermieten. Die Wiener Stadtregierung erachtet sich für diesen Schritt allerdings unzuständig und hat sich daher in einem Brief an den Bund gewandt. Hierin wird dieser von der Wiener Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál und dem Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke (beide SPÖ), aufgefordert, interessierten Bundesländern die Einführung einer Leerstandsabgabe zu ermöglichen. Sicherheitshalber war das Schreiben gleich an vier Bundesminister:innen gerichtet, nämlich jene für Soziales, Justiz, Wirtschaft und Finanzen.

Bund hat Großes im Sinn

In der Tat hat sich die Österreichische Bundesregierung im Bereich Wohnen für die laufende Legislaturperiode einiges vorgenommen, wie ein kurzer Blick in das aktuelle Regierungsprogramm zu Tage fördert. Leistbare Mieten, die Bildung von Eigentum, Nachhaltigkeit und Fairness wolle man fördern. Darüber hinaus sollen aber auch Investitionsanreize für Sanierung und Neubau, ein Vorrang der Nachverdichtung gegenüber der Versiegelung grüner Wiesen und auch gleich eine Gesamtreform des Miet- und Wohnrechts umgesetzt werden. Und schließlich wird man zum interessierenden Thema unter der Überschrift „Leerstand und Mindernutzung“ fündig. Hiernach möchte die Bundesregierung „das Angebot an Wohnungen vergrößern und wird zu diesem Zweck gemeinsam mit den Ländern den Leerstand mobilisieren“, ist hier zu lesen, zur Bekämpfung des strukturellen Leerstandes soll etwa die Wohnbauförderung intensiver zur Sanierung genutzt werden.

Fakten zum Wohnungsleerstand

Aber eins nach dem anderen. Zunächst ist der Wille stark, einmal ein paar Fakten zum Wiener Wohnungsleerstand zum Besten zu geben. Und schon gelangt man an die erste Hürde, denn belegbare Zahlen über leerstehende Wohnungen sind nicht leicht aufzutreiben. In nebenstehenden Exkurs, der als Download zur Verfügung steht, sind Rechercheergebnisse aufgelistet.

Wohnungsleerstand – ein Problem?

Nun gibt es auch Stimmen, welche im Leerstand Wiens kein allzu großes Problem sehen. Zum einen wird aus dieser Richtung darauf aufmerksam gemacht, dass ein Leerstand von 2 bis maximal 3% sogar notwendig sei, um Reserven im Wohnungsmarkt bereit zu haben. Ist der Leerstand zu niedrig, so deute dies demnach auf eine Überhitzung des Wohnungsmarktes hin. Ist er dagegen höher, lasse dies negative Schlüsse auf die Funktionstüchtigkeit des Marktes zu. Zum anderen wird ins Treffen geführt, dass der Wiener Wohnungsmarkt sehr klein strukturiert sei und dies einer spekulativen Preissteigerung entgegenstehe.​

Kann Wien etwas tun gegen den Wohnungsleerstand?

​Ist Wien nun machtlos gegen den Wohnungsleerstand? Oder wird hier – wie man es munkeln hört – nur versucht, sich der Verantwortung zu entledigen und diese wie eine heiße Kartoffel an den Bund abzugeben?

Das Problem ist nicht neu und ebenso wenig dessen Lösung. Bereits in den 80er-Jahren standen Wohnungen in Wien leer und schon damals zauberten findige Menschen ein probates Mittel aus dem Hut: eine Abgabe für all jene Eigentümer:innen, die ihre Wohnungen über mehr als sechs Monate nicht vermieteten. Die zu berappenden Beträge erwiesen sich als überaus saftig, die Bandbreite reichte von 16,50 bis 66 Schilling pro Monat und Quadratmeter. Die Abgabe musste man bezahlen, wenn man seine Wohnung nicht binnen 6 Monaten wieder vermietete, ihr entgehen konnte man dadurch, dass man die Suche nach einer Mieterin/einem Mieter der Stadt Wien überantwortete oder nach deren Kriterien selbst ausschrieb.

Es kam wie es kommen musste: Das alles wurde dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) zu bunt. Er hob das Wiener Gesetz auf, da Eigentümern und Eigentümerinnen zu wenig Spielraum verblieb. Die festgesetzte Abgabe war so hoch, dass Vermieter:innen eigentlich keine Alternative hatten, als ihre Wohnungen zu vermieten. Das Höchstgericht sah daher einen Eingriff in die Kompetenz des Bundes.

Für einen neuen Anlauf zur Einführung einer Leerstandsabgabe verbleiben der Stadt Wien freilich dennoch ausreichend Möglichkeiten, wie ein kurzer Ausflug ins Reich der verfassungsgesetzlichen Kompetenzverteilung zeigen soll. Österreich ist ein Bundesstaat, besteht also aus dem Bund sowie den neun Bundesländern. Die verschiedenen Aufgaben des Staates werden von der Bundesverfassung in recht komplexer Manier auf Bund oder Länder aufgeteilt. Von Bedeutung ist nun die Angelegenheit des sogenannten „Volkswohnungswesens“, die als kompetenzrechtlicher Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit für den Wohnungsleerstand dienen kann. Zuständig zur Regelung dieser Angelegenheit ist zwar der Bund, doch umfasst das Volkswohnungswesen nur kleine und mittlere Wohnungen mit einer Nutzfläche von bis zu 80 Quadratmetern. Für die Gesetzgebung und Vollziehung im Bereich großer Wohnungen sind dagegen ohnehin die Länder zuständig. Damit aber noch nicht genug, denn möchte die Stadt Wien primär ja keine inhaltlichen Regelungen des Volkswohnungswesens treffen, sondern nur eine Abgabe auf den Leerstand erheben. Abgaben folgen grundsätzlich nicht der Kompetenzverteilung, sondern können, vereinfacht gesagt, auch in Bereichen eingeführt werden, für die keine Zuständigkeit nach der Kompetenzverteilung besteht.

Mit anderen Worten: Die Einhebung einer Abgabe ist auch hinsichtlich kleiner und mittlerer Wohnungen möglich, die Stadt Wien kann diesen Schritt somit auch ganz ohne Einbindung des Bundes unternehmen.

Eine Verletzung der Zuständigkeit des Bundes ist aber dann anzunehmen, wenn die Abgabe so gestaltet wird, dass sie Eigentümer:innen eigentlich keine andere Wahl mehr lässt, als ihre Wohnung zu vermieten. Der VfGH hat einen Missbrauch der Abgabeform nämlich in jenen Fällen angenommen, in denen die Abgaben zufolge ihrer besonderen Ausgestaltung in eine fremde Materie so umfassend hineinwirken, dass sie zugleich als Regelung der fremden Materie selbst gewertet werden müssen. Genau das ist im Wohnungsabgabengesetz der 80er-Jahre passiert.

Das Problem hoher und steigender Mieten und mangelnden Wohnraumes wird sicher nicht vom Erdboden verschwinden, nur weil man Eigentümer:innen mit einer Abgabe auf leerstehende Wohnungen belastet. Einen Beitrag könnte diese Maßnahme aber zweifellos leisten.

Fazit: Es besteht ausreichender verfassungsrechtlicher Spielraum, in Wien eine Abgabe auf Wohnungsleerstand zu erheben. Den Bund braucht es jedenfalls nicht.

Mag. Herbert P.

​Quellen:

  • Regierungsprogramm 2020 bis 2024: Aus Verantwortung für Österreich;
  • Martin Putschögl, Länder nehmen Leerstand und Spekulation ins Visier, der Standard 11.11.2021;
  • Kurier 08.11.2021: Brief an den Bund: Stadt Wien drängt auf Leerstandsabgabe;
  • Wer seine Wiener Wohnung leer stehen lässt, soll zahlen, HEUTE 08.11.2021;
  • Walter Senk, Vom Wort zur Tat, Immo aktuell, Heft 2/2020;
  • Wien will Leerstandsabgabe für Wohnungen, ORF 08.11.2021
  • Christina Schraml, Schreckgespenst Leerstand: Brachliegender Wohnraum erhitzt in Zeiten explodierender Mieten die Gemüter. Hat wien ein Leerstandsproblem?, Wiener Zeitung, 24.09.2021;
  • Matthias Winterer, Leere Wohnungen sollen in Wien kosten, Wiener Zeitung 09.11.2021;
  • Franziska Zoidl, UNBEWOHNT: Warum Wohnungen ungenutzt im Leerstand bleiben, der Standard, 10.06.2021
  • Franziska Zoidl, Ungenutzter Wohnraum: Graz und Innsbruck gehen dem Leerstand auf den Grund, der Standard 24.09.2021;
  • Eva Schubert, Was bringt eine Leerstandsabgabe?, der Österreichische Gemeindebund, 21.12.2021;

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