Das Haus steht seit 150 Jahren dort – es gab kein Problem

Interview mit Robert Zöchling über den Erhalt historischer Bausubstanz, zweifelhafte Gutachten zu wirtschaftlicher Abbruchreife und leistbares Wohnen in Währing

TG Leistbares Wohnen: Lieber Robert, danke dass du dir Zeit für das Interview genommen hast. Als erstes möchte ich dich kurz vorstellen: Du bist seit 2015 Bezirksvorsteherin-Stellvertreter in Währing und leitest ein Ingenieursbüro, das einen Schwerpunkt auf die Umnutzung von bestehender Bausubstanz legt. Zusätzlich arbeitest du als Vorsitzender des Bauausschusses daran das Antlitz Währings und leistbaren Wohnraum zu erhalten. Eine herausfordernde Aufgabe, wie du selbst schreibst, „in Anbetracht der ungleich verteilten Instrumente und Ressourcen gegenüber denen, für die Wohnraum nur ein Geschäftsmodell ist, und die oft kein nachhaltiges Interesse an Ort und Umfeld haben.“

Ausgehend von diesem letzten Satz und deiner Erfahrung im Bauausschuss möchte ich dich fragen, welche Investitionen im Bereich Wiener Gründerzeithäuser in Währing aktuell getätigt werden. Wiener Zinshäuser sind kein unbedeutendes Wohnungssegment, da fast 30% aller Mietwohnungen in Häusern liegen, die vor 1919 errichtet wurden.

Zöchling: Die Bauordnungsnovelle 2018, deren Inkrafttreten von Maria Vassilakou damals teilweise vorgezogen wurde, erschwert den Abbruch historischer Bausubstanz außerhalb von Schutzzonen. Gebäude, die vor dem 1.1.1945 errichtet wurden, können nur noch abgebrochen werden, wenn eine positive Stellungnahme der MA 19 vorliegt. Die MA 19 ist für das Stadtbild zuständig, und wenn sie der Ansicht ist, dass ein Gebäude prägend und wertvoll für das Stadtbild ist, dann darf es fürs Erste nicht abgebrochen werden. Vor Inkrafttreten der Novelle wurden sehr viele Häuser – auch in Schutzzonen – aufgekauft, mutwillig devastiert und dann abgebrochen. Aufgrund der im Altbestand relativ hohen Raumhöhen lassen sich bei Abriss und Neubau mit der Standardraumhöhe von 2,50 Meter mindestens zwei Geschosse mehr errichten. Mit der Novelle von 2018 haben sich die Investor_innen schnell darauf eingestellt nicht mehr diese gesichtslosen, ausgeschlachteten Baulücken herzustellen, sondern in die Qualität des Altbaus zu investieren. Zwischenzeitlich wurden sehr viele Zinshäuser saniert und aufgestockt. Das hat den angenehmen Nebeneffekt, dass weniger Wohnungen mit Richtwertmieten untergehen, sondern erhalten bleiben.

TG Leistbares Wohnen: Wie du gerade erwähnt hast, sind Mieten in Gebäuden, die vor 1945 errichtet wurden, durch das Mietrechtsgesetz reguliert. Dies ist für die Leistbarkeit und soziale Durchmischung von städtischem Wohnraum wichtig, für an Gewinnmaximierung interessierte Investor_innen aber eher ein Nachteil. Welche Möglichkeiten haben Eigentümer_innen unter der jetzigen Gesetzeslage eigentlich noch, um ein altes Gebäude abzureißen und einen Neubau mit möglichst viel Wohnfläche hinzustellen?

Zöchling: Ein Abbruch ist nur möglich, wenn die Eigentümer_innen nachweisen können, dass es wirtschaftlich unzumutbar ist, das Gebäude soweit instand zu setzen, sodass es vermietbar wäre wenn sie also mittels eines Privatgutachten die wirtschaftliche Abbruchreife nachweisen können. Dieses Gutachten wird dann von der MA 25, also der Abteilung für Technische Stadterneuerung, überprüft. Soll der Abbruch in einer Schutzzone erfolgen, dann hat auch der Bezirk die Möglichkeit eine Stellungnahme abzugeben.

Nun gibt es findige Investor_innen, die sich die Zeit nehmen um ihre Liegenschaften verfallen zu lassen, teilweise wird auch nachgeholfen, indem Teile des Daches abgedeckt oder Fenster ausgehängt werden. Dann gibt es auch Ziviltechniker_innen-Büros, die darauf spezialisiert sind, den Zustand eines Gebäudes als möglichst schlecht darzustellen. Diese Büros nutzen dabei die personelle Unterbesetzung der Abteilungen der Stadt aus und müllen sie mit Unterlagen zu, die auf die Schnelle nicht überprüfbar sind.

TG Leistbares Wohnen: Gibt es aktuell in Währing Gebäude, wo diese Strategie zu Anwendung kommt?

Zöchling: In der Pötzleinsdorfer Straße 90 steht eine um 1870 erbaute Villa. Im Gutachten wurde sie nicht nach ihrem bestehenden Zustand beurteilt, sondern so, als würden darauf gebaut. Es hieß, dass die Fundamente zu schwach seien, dass Grundbruchgefahr bestehe, also das Erdreich unter dem Fundament ausweicht und die Wände absinken werden. Das ebenso alte Stiegenhaus sei statisch unbestimmt, würde eine Gefahr darstellen und müsse durch ein neues Stahlbeton-Stiegenhaus ersetzt werden. Darüber hinaus wurde bemängelt, dass das Mauerwerk in einem gestörten Zustand sei, weil damals teilweise Bruchsteinmauerwerk eingefügt wurde, was die Statik des Gebäudes aber nicht beeinträchtigt. Da die Dachflächenfenster ausgehängt wurden, ist der hintere Teil der Dippelbaumdecke schadhaft. In dem Gutachten steht, dass die Decke über dem Erdgeschoß nun vollflächig mit einer Verbunddecke saniert werden muss, was völlig überschießend ist. Das Haus steht schon ungefähr 150 Jahre dort, und es ist nichts passiert. Es weist straßenseitig nahezu keine Risse auf – es gibt also keine Probleme, außer sie werden konstruiert.

Das Haus besteht aus zwei Wohnungen und ist nur einseitig an ein Nachbarhaus angekuppelt. Bei einem Abriss könnten die volle Tiefe und Breite der Baufläche ausgenutzt und die bestehende Wohnfläche von 200 m² wahrscheinlich auf 1000 m² erweitert werden mit einem Verkaufspreis von 10.000 bis zu € 15.000 pro m².

TG Leistbares Wohnen: Die Eigentümer_innen können sich die Büros selbst aussuchen, die ihre Liegenschaft auf wirtschaftliche Abbruchreife hin überprüfen? Dabei wird ja nicht wie bei der technischen Abbruchreife eine mögliche Gefahrensituation eingeschätzt, sondern das Gewinnpotential eines Hauses.

Zöchling: So ist die übliche Vorgangsweise. Die Eigentümer_innen suchen sich ihre Vertragspartner_innen, die ihnen die notwendigen Gutachten beibringen, und die Stadt hat Abteilungen, die diese Gutachten in der Regel stichprobenartig auf Vollständigkeit, Plausibilität sowie Richtigkeit der Kalkulationen hin überprüfen. Die Gutachten für die wirtschaftliche Abbruchreife, die ich kenne, hat die Stadt allerdings nicht besonders ernsthaft überprüft.

Das liegt einerseits daran, dass die MA 25 dafür nicht genug Ressourcen hat, aber auch daran, dass vielfach kein Interesse besteht. Und es ist einfacher, einen Akt innerhalb eines Tages abzuschließen, als sich damit über Monate herumzuschlagen, indem man den Akt anzweifelt und Nachforderungen stellt.

TG Leistbares Wohnen: Das klingt nach dem schon zitierten ungleichen Kräfteverhältnis. Wie ließe sich dieses ändern?

Zöchling: Indem die Abteilungen der Stadt besser ausstattet werden und die Zielsetzungen der Stadt Wien klarer formuliert werden. Das heißt auch die MA 37, also die Baupolizei, besser auszustatten und zu motivieren, die Verpflichtungen der Eigentümer_innen schon im Vorfeld zu kontrollieren, sodass ein Haus erst gar nicht in einen derart schlechten Zustand kommt, dass es auch in einer Schutzzone abgebrochen werden kann. Es gibt Eigentümer_innen, die ihre Häuser 15 Jahre leer stehen lassen und sich nicht darum kümmern, ob die Fenster eingeschlagen und die Dachflächenfenster geschlossen sind, ob das Dach noch dicht ist, ob das Wasser abgedreht oder ob eine Leitung aufgefroren ist.

Eigentümer_innen sind verpflichtet, ihre Liegenschaft in einem gebrauchstauglichen und sicheren Zustand zu erhalten. Die Stadt hat hier eine klar geregelte Handhabe und kann auch entsprechende Bauaufträge erteilen. Wenn die Stadt Kenntnis erlangt, dass ein Haus in einem schlechten Zustand ist, kann sie einen Lokalaugenschein mit eigenen Amtssachverständigen ansetzen. Die MA 25 trifft eine Einschätzung der Situation und bestimmt die Maßnahmen, die von der Baupolizei sofort oder innerhalb einer angemessenen Frist umzusetzen sind. Aber die Stadt ist wie in vielen Fällen einfach säumig ihre eigenen Regeln zu exekutieren, dort wo sie notfalls in Vorleistung treten müsste.

TG Leistbares Wohnen: Es gibt also eine Verpflichtung der Eigentümer_innen, ihre Liegenschaften in bewohnbarem Zustand zu erhalten?

Zöchling: Absolut. Verantwortungsvolle Investor_innen machen das auch. Ich kenne einige Eigentümer_innen, die zwar auch Schwachstellen im Mietrechtsgesetz ausnutzen und Mieten verlangen, die der Markt hergibt, denen es aber gleichzeitig wichtig ist, dass das Gebäude in einem wirklich guten Zustand ist, alle Mieter_innen Zugang zu Infrastruktur wie dem Lift haben und die Dekarbonisierung der Heizsysteme planen. Jene Mieter_innen, die aus Sicht der Eigentümer_innen einen schlechten Vertrag haben, hatten halt Glück – genauso wie die Eigentümer_innen, die unter Umständen bei gutem Wind gekauft haben.

TG Leistbares Wohnen: Dennoch ist der Anreiz, ein altes Gebäude abzureißen und ein neues zu errichten leider hoch, weil die Wohnfläche dabei vom geschützten in den unregulierten Mietbereich wechselt und oftmals vermehrt werden kann. Wie ließe sich dieser Anreiz vermindern?

Zöchling: Bei der Erarbeitung der neuen Flächenwidmungs- und Bebauungspläne hat die Stadtplanung versucht, mit der festgesetzten Höhe den Druck auf die Gründerzeit nicht allzu groß werden zu lassen, indem der Altbestand teilweise höher ist als die zulässige Gebäudehöhe für Neubauten. Damit ist der Anreiz für einen Abbruch reduziert, da durch einen Neubau nicht mehr Geschoße errichtet werden können. Durch die Dachbodenausbauten wurde die Möglichkeit geschaffen, dass einerseits der leistbare Wohnraum erhalten bleibt, und andererseits eine Nachverdichtung in einem bestimmten Preissegment möglich ist.

Eine weitere Möglichkeit wäre ein temporärer Sanierungsbeitrag, der sich nach 25 Jahren amortisiert. Danach fallen alle Wohnungen unter einen Mietpreisdeckel.

TG Leistbares Wohnen: Also eine Ausweitung der regulierten Mieten?

Zöchling: Wenn wir eine leistbare Stadt wollen, dann müssen wir uns von der Idee verabschieden, dass Eigentum ein lebenslanges, arbeitsloses Einkommen darstellen kann, für das Andere arbeiten müssen. Ich denke, es gibt viele kreative Menschen, die sich ausrechnen können wie ein temporärer Sanierungsbeitrag ausgestaltet werden muss, damit sich der Erhalt einer Immobilie immer noch auszahlt und möglich ist.

TG Leistbares Wohnen: Das wäre eine Gesetzesänderung auf Bundesebene. Welche Maßnahmen wären auf Landesebene notwendig?

Zöchling: Ich denke, dass mit der sich gerade in Ausarbeitung befindlichen Bauordnungsnovelle, die meines Wissens nach 2024 in Kraft treten soll, die wirtschaftliche Abbruchreife abgeschafft wird. Gleichzeitig kann das bestehende Regelwerk besser genutzt werden, um zu verhindern, dass die wirtschaftliche Abbruchreife dadurch herbei geschrieben wird, indem so getan wird, als müsse ein Gründerzeithaus den OIB-Richtlinien von 2019 entsprechen. Das Gutachten zu der Villa in Pötzleinsdorf beurteilt diese nach aktuell geltenden bautechnischen Standards und nicht nach jenen der Errichtungszeit.

TG Leistbares Wohnen: Gibt es neben der Villa Gebäude in Währing, die vernachlässigt wurden, um die wirtschaftliche Abbruchreife herbeizuführen?

Zöchling: Mir sind drei weitere Objekte bekannt, wobei eines aufgrund medialen Drucks und der Stellungnahme des Bezirks neu bewertet und nicht abgebrochen wurde. Ein weiteres Gebäude wurde bereits abgebrochen, dort steht schon ein Neubau. Für das Dritte in der Gentzgasse 4 erteilte die MA 37 bereits die Zustimmung für den Abriss.

Bezüglich der Villa habe ich gehört, dass – obwohl der Bezirk eine ausführliche negative Stellungsnahme abgegeben hat – der Bescheid gerade verfasst wird. Wir werden sehen, was da noch passiert. Als der Bezirk das letzte Mal eine mehrseitige, sachlich fundierte Stellungnahme abgegeben hat, die – zumindest aufgrund unserer Fachkenntnis – nicht an den Haaren herbeigezogen war, hat sich weder die MA 37 und noch die MA 25 dazu geäußert; unsere Stellungnahme ist einfach ignoriert worden.

TG Leistbares Wohnen: Würdest du das auch mit der Überlastung der Behörden erklären?

Zöchling: Nein, das hat nichts mit der Überlastung der Behörden zu tun. Ich habe bezüglich der Villa beim obersten Baupolizisten Dr. Gerhard Cech nachgefragt, und er meinte, er habe unsere Stellungnahme noch nicht gelesen, wird aber gegebenenfalls nochmal eine Stellungnahme der MA 25 einholen. Danach ist genau keine Reaktion mehr gekommen.

Die einzige Erklärung, die ich dazu habe, ist, dass sich die MA 37 ärgert, dass sich – aus ihrer Sicht – irgendjemand wichtigmacht, und das ist ihnen einfach lästig. Das wäre das Positivste, das ich unterstellen könnte – alles andere wollen wir nicht hoffen.

Kurz vor Inkrafttreten der Bauordnungsnovelle 2018 haben Investor_innen vielfach ihre wilden Männer geschickt, die bei Gebäuden Fenster rausgerissen oder das Dach abgedeckt haben. Das Verwaltungsgericht hat den Investor_innen in der Regel recht gegeben, weil sie ja mit dem Abbruch schon begonnen hatten. Gleichzeitig hat die MA 37 die interne Weisung ausgegeben, dass sie gegen eine Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs keinen Widerspruch einlegt. Von daher kam es damals noch zu einer Welle von Abbrüchen.

Das hatte auch nichts mit Überforderung zu tun. Das war einfach eine Haltung. Sie haben es nicht einmal probiert. Was ich ja das Eigentümlichste fand, war der Verfahrensablauf. Die MA 19 hat zwar gegen die Abbrüche Widerspruch eingelegt, aber die Herrin der Verfahren war die MA 37. Diese hat die MA 19 nicht darüber informiert, wie das Verwaltungsgericht in den jeweiligen Fällen entschieden hat und so die Urteile durch Zeitablauf in Rechtskraft erwachsen lassen.

So funktioniert die Stadt leider. Wenn sich die Menschen bzw. die Handelnden nicht mögen oder einander einfach egal sind, dann reden sie auch nicht miteinander – sie müssen ja nicht. Es gibt niemanden, der die verschiedenen Abteilungen zur Koordination zwingt.

TG Leistbares Wohnen: Die Stadt Wien bräuchte also eine Organisationsberatung und Neuaufstellung?

Zöchling: Sie bräuchte ein Projektmanagement und eine Stelle, wo die Fäden zusammenlaufen und die den Überblick über ein Verfahren hat. Derzeit sind die Beteiligten halt lauter Einzelkämpfende.

Das Interview führte Marion Stoeger am 20.12.2022 in der Bezirksvertretung Währing.

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