Die Heuschrecken werden mehr: Immobilieninvestoren haben Wien entdeckt

Die lebenswerten Großstädte dieser Welt erleben eine biblische Plage, die Heuschrecken nehmen zu, denn die milliardenschweren Investmentfirmen entdecken unter anderem auch Wien als eines ihrer bevorzugten Ziele. Dies zeigten die Ergebnisse eines internationalen Rechercheprojektes „Cities for Rent“, koordiniert unter dem Dach von Arena for Journalism in Europe, gefördert vom investigative Journalism.

Baukräne wohin man schaut in Wien. Am Stadtrand wird Grünland zu Bauland, in der Stadt werden Gründerzeithäuser mit günstigen Mieten abgerissen und durch gesichtslose Bauten mit wesentlich mehr Etagen ersetzt, wobei die Mieten sehr deutlich steigen. Neubau erfolgt in vielen Fällen im Luxussegment, frei finanziert und entsprechend teuer. 2021 6.000 Wohnungen, hinter denen ein Investor steht, hat die Exploreal ermittelt. Von gewerblichen Bauträgern kommen nochmals 6.000 dazu.

Bei vielen Projekten werden nicht mehr einzelne Wohnungen verkauft, sondern nur mehr Pakete mit mehreren Wohnungen, die dann einzeln vermietet werden. Immounited erfasst seit 2008 österreichweit Kaufverträge für Immobilien: “Es gibt aktuell eine höhere Tendenz, dass ganze Wohnanlagen von institutionellen Anlegern gekauft werden“, sagt Andreas Millonig von Immounited, „zum Teil auch schon voll vermietet, weil somit auch noch einmal das Risiko gemindert wird für diese Investment“.

Hier sind aber die Mieten hoch: 15€/m2 keine Seltenheit. Dabei sind bei weitem oft nicht alle Wohnungen vermietet, man sieht bei diesen Bauten viele dunkle Fenster des Nachts. Oft mehr als die Hälfte.

Wer erinnert sich nicht noch an die Forderung, Wohnen darf nicht zur Ware werden, aber Wohnen ist längst auch keine Ware mehr, sondern in vielen Fällen ein Finanzprodukt.

Was hat sich geändert? Früher war Wohnen kein großes Geschäft für milliardenschwere Investmentfirmen: zu kleinteilig, zu viel Aufwand, zu wenig Gewinnspanne im Vergleich zu Börsengeschäften. Das hat sich mit dem Finanzskandal 2008 geändert. Die Börsen waren auf Talfahrt, die EZB flutete und flutet den Markt mit Geld, das möglichst gewinnbringend angelegt werden muss.

2007 lag die Summe der großen Käufe (mindestens 10 Wohneinheiten pro Kauf) bei 17,3 Milliarden in 16 Städten, 2019 waren es 66,9 Milliarden. Wien liegt da an fünfter Stelle, fast gleichauf mit Madrid und Paris.

Das Geld kommt primär aus den USA, an zweiter Stelle deutsche Investmentfirmen und Versicherungen. Aber oft sind die Firmensitze auch in Luxemburg.

2014 verkaufte die Post die ehemalige Postgarage (30.000m2) an eine Immobilienfirma. Diese teilte den Grund in zehn Parzellen, baute und verkaufte. Heute gehören die zehn Häuser Eigentümer aus Deutschland, Österreich, Liechtenstein und Luxemburg. Eine 75m2 große Wohnung kostet 1.250€ Monatsmiete. Wobei nicht wenige Mieterinnen und Mieter die mindere Qualität beklagen. Nicht wenige wollen ausziehen. Laut Hausverwaltung nur eine kleine Minderheit. Wie viele Wohnungen insgesamt vermietet waren, konnte die Hausverwaltung den ORF Reporterinnen nicht sagen.

Die Konsequenz: Es gibt viel weniger Haushaltsgründungen als zu erwarten wäre, da junge Menschen erst später von zuhause ausziehen können, länger in Wohngemeinschaften oder Heimen leben.

Außerdem werden die neugebauten Wohnungen kleiner. Wobei gemeinnützige Wohnungen im Schnitt um 14m2 größer sind als gewerbliche Wohnungen (Mathias Grosse von Exopolreal).

Das gravierende Wohnungsproblem ist inzwischen auch schon im EU-Parlament angekommen, in Deutschland werden Unterschriften zu Enteignung, zum Rückkauf großer Wohneinheiten durch die öffentliche Hand gesammelt. In Berlin wurde die Notwehrmaßnahme „Mietendeckel“ vom deutschen Verfassungsgericht für ungültig erklärt.

Jedenfalls ist das ein ganz heißes Eisen weiterhin, eine biblische Plage, die uns noch viel beschäftigen wird.

Dieter Scholz

Quelle: ORF.at 30.04 2021, Alexandra Siebenhofer und Elisabeth Lind. 

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